Schmetterling - Abschnitt 23

Was ich zunächst nur sagen möchte, obgleich’s auch überflüssig wäre, ist dies: Ich erwachte wieder; ich besann mich wieder auf mein Vorhandensein als lebendiger Teil dieses sogenannten Weltsystems, dessen Übersicht im ganzen ja schwierig ist.
Nachdem ich eine sitzende Stellung angenommen, mir die Augen gerieben und mich behaglich gedehnt und gereckt hatte, als hätt’ ich nach einer längeren Fußtour einen gesunden, erquickenden Schlaf getan, bemerkt’ ich erst, daß ich mich in einem geräumigen Garten befand, den eine hohe Mauer umgab. Dicht vor mir lag ein Feld mit Kohl bebaut, lauter Kappisköpfe von beträchtlicher Dicke. Auf den Blättern saßen zahllose Raupen und fraßen und verpuppten sich mit großer Geschwindigkeit, und schon im nächsten Augenblick brachen die Hüllen auf, und ein buntes Gewimmel von Schmetterlingen erfüllte die Luft. Aber auch ein Baum stand da von erstaunlicher Höhe, ganz dicht besetzt mit Nestern, aus denen unaufhörlich ein Schwarm von Vögeln herausflatterte, so schwarz wie Raben und so flink wie Fliegenschnäpper.

Und, was mich am meisten wunderte, der Kohl wuchs zusehends vor meinen Augen, und im Umsehn wurden allerlei Menschen daraus, und jeder Kappismensch hatte ein Netz in der Hand, und die Schmetterlinge flogen über die Mauer und die Vögel und die Menschen hinterher. Das Feld links neben mir war noch nicht bestellt. Zwei Männer waren beschäftigt, es umzugraben. Sie machten eine Pause, lehnten sich auf ihre Spaten und sahen sich um; und jetzt bemerkt’ ich erst, daß es gar keine richtigen Mannsbilder waren, sondern zwei riesige Käfer, der eine in einem schwarzgelbbunten Röcklein, ein Totengräber, der andere blauschwarz, von der Sorte, die wir, wenn wir unter uns sind, schlechtweg mit dem Namen Mistkäfer bezeichnen. Die Sonne senkte sich schon. Trotzdem sagte der Totengräber zu mir: „Guten Morgen! Grad hatten wir vor, dich unterzugraben!“ „Oho!“ rief ich. „Na!“ sagte er. „Sieben Jahre gelegen, ist doch wohl lange genug!“ Ich lächelte wie einer, der Spaß versteht. „Wir wollen Dumme säen!“ fuhr er fort. „Gleich einen ganzen Acker, damit sie nicht alle werden.“ „Man braucht halt Dünger!“ meinte der Mistkäfer. Um auf etwas anderes zu kommen, sagt’ ich: „Ihr habt hier mehr schwarze Vögel als bunte Schmetterlinge, wie ich sehe.“ „Ganz richtig!“ erwiderte der Mistkäfer. „Erst drüben, jenseits der Mauer, merkt man es recht. Für jede angenehme Erwartung gibt’s mindestens drei unangenehme Möglichkeiten.“ „Also leg dich und halt uns nicht auf!“ mahnte ungeduldig der Totengräber. „Nur schad um den schönen Bart!“ meinte der andere. Ich griff ans Kinn. Es war so. Ich hatte einen ellenlangen Bart gekriegt. Sollte denn wirklich, dacht’ ich – -.

Aber eh ich noch weiter dachte, flatterte aus dem Kohlfelde mein Schmetterling auf, in verjüngter Herrlichkeit, so munter und farbenschön, wie ich ihn noch niemals gesehen hatte. „Ein Netz!“ schrie ich. „Ich will hinaus!“ „Wer will, der darf!“ brummten die Käfer. Der eine gab mir ein Netz, der andere einen Schlag mit der flachen Schaufel hinten vor, zur Nachhilfe, und dort hupft“ ich hin, über die Mauer, mit übernatürlicher Leichtigkeit, in hohen Bogensätzen, gleich wieder emporschnellend, sobald ich nur mit der Spitze des Fußes den Boden berührte, wie’s zuweilen in unbehinderten Träumen geschieht, wenn die Sohlen so elastisch sind, als säßen Sprungfedern drunter. Auch würd’ ich den Schmetterling sicher erwischt haben, denn ich war fast noch schneller als er, hätte ihn mir nicht einer von den schwarzen Vögeln grad weggeschnappt, als ich eben den entscheidenden Hieb tun wollte. Ärgerlich warf ich das Netz fort, hupfte gleichgültig weiter und machte erst, als es lange schon Nacht geworden und ich in der Ferne was Helles sah, wieder höhere Sprünge. Alsbald befand ich mich in einem Park, dicht vor den Fenstern eines hell erleuchteten Schlosses, wo es lustig drin zuging bei den Klängen der herrlichsten Blechmusik. Es war vornehme Gesellschaft. In allen Sälen wurde gespielt. Mein erster Blick fiel auf Lucinde, die lachend am Spieltische saß. Eine fünf Ellen lange, silbergestickte Schleppe ringelte sich neben ihr auf dem Teppich wie eine glitzernde Schlange. Sie hatte einen Haufen Gold vor sich liegen. Ihr Gegenpart war ein jovialer Herr, schon ziemlich bei Jahren, dessen Hände und Gesicht ganz schwarz aussahen.

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