Schmetterling - Abschnitt 5

“Was!” entgegnete der Bauer und wurde ganz traurig und niedergeschlagen. “Gott erhalte jedem ehrlichen Christenmenschen seinen gesunden Verstand. Seh ich wirklich so dumm aus?” “Hört mal!” sag’ ich. “Dann seid Ihr ja einer der größten Halunken, die auf den Hinterbeinen gehn zwischen Himmel und Hölle.” “So hör ich’s gern!” rief der Bauer und sein Gesicht klärte sich auf. “Gelt ja? Ich bin ein Teufelskerl. He, Wirt! Gebt diesem netten Herrn ein belegtes Butterbrot und ein Glas Bier auf meine Rechnung.” Während ich aß, fiel es mir auf, daß der Mann beständig durchs Fenster schielte. Plötzlich schien ihm was einzufallen. Er zahlte und sagte, er müßte notwendig mal eben hinaus, aber käme gleich wieder. Kaum war er fort, so hörte man ein hastiges Pferdegetrappel von der Landstraße her. Ich trat vor die Haustür. Ein Schimmelreiter ohne Hut war angekommen und fragte ganz außer Puste: “War kein Bauer hier mit einem dicken Bauch, einem dicken Stock und einer dicken Uhrkette?” “Das stimmt!” sag’ ich. “Er ging nur mal eben zur Hintertür hinaus.” “So ein Hundsfott!” schrie der Reiter. “So ein Mistfink! Lobt und preist mir der Kerl den Schimmel an, der den Teufel und seine Großmutter im Leib hat.” “Ja!” sag’ ich gelassen. “Dummheit muß Pein leiden.” Krebsrot vor Zorn hob der Schimmelreiter die Peitsche. Ich schwenkte mein Schmetterlingsnetz.

Auf dieses Zeichen schien der Schimmel gewartet zu haben. Er vergrellte die Augen, spitzte die Ohren, ging verquer, ging rückwärts, er drückte ein Fenster ein unter starkem Geklirr, er wieherte hinten und vorn, und dann, mit einem riesigen Potzwundersatze, weg war er über die Planke. Ich lief, um nachzusehen, vor den Hof. Der Schimmel war nur noch ein undeutlicher Punkt ganz in der Ferne; der Reiter hing deutlich im Pflaumenbaum ganz in der Nähe.
Die folgende Nacht verschlief ich unter einer Wiesenhecke. Eine Grasmücke, das graue Vöglein mit schwarzem Käppchen, weckte mich in der Früh durch seinen lieblichen Gesang. Ich blieb noch liegen und horchte. Durch Zweige und zierliche Doldenpflanzen sah ich in die sonnige Welt. Heuschrecken geigten an ihren Flügeln, indem sie die Hinterbeine als Bogen benutzten. Schwebefliegen blieben stehn in der Luft und starrten mich an aus ihren Glotzaugen. Endlich erhob ich mich und nahm in einem klaren Wassertümpel mein Morgenbad. Natürlich, grad wie mir’s am wohlsten drin ist, kommt mein ersehnter Schmetterling dahergeflogen und flattert mir neckisch vor der Nase herum. Ich heraus, zieh mich an, eile ihm nach, von Wiese zu Wiese, den ganzen Tag, bis dicht vor ein Städtchen. Hier schwang er sich über die Stadtmauer, hoch in die Lüfte, nach dem Wetterhahn hin auf der Spitze des Kirchturms.

Der Abend dämmerte bereits. Auf dem Walle lief ein Mann hin und her, einsam und unruhig. Er hatte den Zeigefinger an die Stirn gelegt und sagte in einem fort das Abc her, bald vor-, bald rückwärts. Ehe ich ihm ausweichen konnte, stieß er mir mit dem Kopf vor die Brust. Nun riß er die Augen weit auf und schrie mich an: “Ha! Wie heißt er?” “Ich heiße Peter!” sag’ ich. “Nein, Er, Er, mit dem ich vor zehn Jahren im Monat Mai drei Wochen lang herumgewandert bin an der polnischen Grenze.” “Gewiß ein Herzensfreund.” “Nein, gar nicht.” “Oder er ist Euch was schuldig.” “Keinen Heller.” “Na!” sag’ ich. “Dann nennt ihn Hans und laßt ihn laufen, wohin er will.” “Mensch!” rief er. “Ich bin Ausrufer in dieser Stadt. Lesen kann ich nicht; meine Frau sagt’s mir vor, bis ich’s auswendig kann; läßt’s Gedächtnis nach, ist der Dienst verloren. Neulich, beim Kaffee, ich stecke die Pfeife an, da, so beiläufig, denk’ ich: Der, der, wie heißt er nur gleich? Und da hat’s mich gehabt. Und ich sah ihn doch so deutlich vor mir, als wär’s heut oder übermorgen. Er war links und kratzte sich auch so; er zwinkerte immer mit dem linken Auge, und sein linkes Bein war krumm, und im linken Ohrläppchen trug er einen Ring von Messing, und Schneider war er auch. Oh, der Name, der Name!” Die Beschreibung paßte genau auf meinen früheren Meister. “Hieß er nicht Knippipp?” sag’ ich so hin. Ein heller Freudenblitz zuckte über sein blasses Angesicht.

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