Schmetterling - Abschnitt 3

Ich sprang auf, tanzte auf einem Bein und pfiff dazu. “Ähä!” lachte wer hinter mir. “Aufs Auge getroffen!” Ein hübscher, blasser Bursch, gekleidet wie ein Jägersmann, saß unter einer Buche. “Ich bin der Peter!” sag’ ich und setzte mich zu ihm. “Und ich der Nazi!” sagt er. Um seinen linken Arm ringelte sich eine silberglänzende Schlange, die auf dem Kopf ein goldenes Krönchen hatte, und auf seinen Knien hielt er ein Vogelnest mit kleinen, blaugrünen Eiern darin. “Ein verdächtiges Vieh!” sagt’ ich mißtrauisch. “Es beißt wohl auch?” “Mich nie. Gelt, Cindili!” sprach er, indem er ihr ein Ei hinhielt. Ich trug auf der bloßen Brust ein Medaillon, eine Goldmünze, das Geschenk eines Paten. Die Schlange machte sich lang danach. “Sie wittert das Gold”, sagte der Jäger. “Teufel, duck dich!” rief ich und gab ihr mit dem Stiel meines Netzes einen kurzen Hieb über die Nase. Zornig zischend fuhr sie zurück, wickelte sich los und schlüpfte raschelnd ins Gebüsch. Der Jäger, nachdem er mir vorher noch schnell einen Stoß auf den Magen versetzt hatte, daß ich die Beine aufkehrte, lief hinter ihr her.

Allmählich wurde es im Walde pechteertonnendunkel. Die Luft war mild. Ich lehnte mich an den Baumstamm und entschlief augenblicklich, ja, ich kann wohl sagen, noch eher. Überhaupt, schlafen, das konnt’ ich ohne jede Mühwaltung; und fest schlief ich auch, fast so fest wie die Frau mit dem guten Gewissen, der die Ratten über Nacht die große Zeh abfraßen, ohne daß sie was merken tät. Erst die Mittagssonne des nächsten Tages öffnete mir die Augen. Und wahrhaftig; da saß er schon wieder, drei Schritt weit weg, mein kunterbunter Schmetterling, auf einem violetten Distelkopfe, und fächelte und ließ seine ausgebreiteten Flügel verlockend in der Sonne schimmern. Mit kunstvoller List schlich ich näher. Vergebens. Genau eine Sekunde vorher, eh ich ihn erreichen konnte, flog er ab wie der Blitz, und dann noch einmal und noch einmal, und dann Fiwitz! mit einem eleganten Zickzackschwunge weg war er über eine haushohe Dornenhecke. “Zu dumm!” dacht’ ich laut, denn ich war sehr erhitzt. “So ein klein winziges Luder; will sich nicht kriegen lassen; ist extra zum Wohle des Menschen geschaffen und verwendet doch seine schönen Talente nur für die eigenen selbstsüchtigen Zwecke. Es ist empörend!” Im Eifer der Verfolgung hatt’ ich den einen Stiefel im Sumpf stecken lassen, und zwar tief, so daß ich erst eine Zeitlang tasten und grabbeln mußte in der schwarzen Suppe, ehe ich ihn wiederfand. Ich schüttete den Froschlaich heraus, wusch mich und ging nun, nachdem ich mich abgekühlt und besänftigt hatte, in gemäßigtem Bummelschritt einem fernen Hügel entgegen, über den sich als heller Streifen die Landstraße hinzog. Hier hoffte ich ortskundige Leute zu treffen, die mir sagen konnten, wie ich nach Hause käme.

Auf einem Meilensteine saß ein älterer Mann, der eine ungewöhnlich breitschirmige Mütze trug. Zwischen seinen Knien hielt er einen grauhaarigen Hund. “Guter Vater!” sprach ich ihn an. “Ich möchte gern nach der Stadt Geckelbeck.” “Genehmigt!” gab er zur Antwort.”Könnt Ihr mir vielleicht zeigen, wo der Weg dahin geht?” “Ne! ich bin rundherum blind.” “Schon lange?” fragte ich teilnahmsvoll. “Fast neunundfünfzig Jahr; nächsten Donnerstag ist mein dreiundfünfzigster Geburtstag.” “Was? Schon sechs Jahre vor Eurer Geburt?” “Sogar sieben, richtig gerechnet. Ich wollte schon damals gern in die Welt hinein, tappte im Dunkeln nach der Tür, fiel mit dem Gesicht auf die Hörner des Stiefelknechts, und das Unglück war geschehn.” “Dann laßt Euch raten, Alter!” sagt” ich. “Und schielt nicht zu viel nach hübschen Mädchen, denn das hat schon manchen Jüngling zu Fall gebracht.” “Faß!” schrie der Blinde und ließ den Hund los. Ich aber nahm die Frackschöße unter den Arm, steckte mein Schmetterlingsnetz nach hinten zwischen den Beinen durch, wedelte damit und ging so in gebückter Stellung meines Weges weiter; eine Erscheinung, die dem Köter so neu und unheimlich vorkam, daß er mit eingeklemmtem Schweife sofort wieder umkehrte. Vor mir her schritt ein Bauer, der weder rechts noch links schaute, und da er einen ernsten, nachdenklichen und vertrauenerweckenden Eindruck machte, beschloß ich, an ihn meine Frage zu richten. “He!” rief ich. Er gab nicht acht darauf. “He!” rief ich lauter.

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