Schmetterling - Abschnitt 15

Schon glaubt’ ich, er wollte sich zum zweitenmal aufhängen vor Wut und Gram; aber er besann sich, lachte grimmig und lud mich ein, mit in seine Höhle zu gehn, wo er sich häuslich eingerichtet hatte; allerdings nur sehr mangelhaft, denn eine vielversprechende Flasche, die er, ein Auge zugekniffen, gegen das Licht hielt, erwies sich als inhaltslos. In der Ferne fiel ein Schuß. “Weißt du was, Freund Peter?” sprach der Nazi etwas hastig. “Am besten ist’s, wir gehn fechten bei den Bauern, damit wir was Warmes kriegen.” Vorsichtig voranschleichend, führte er mich nach der andern Seite aus dem Walde hinaus, quer durch die Felder, bis wir zum nächsten Dörflein gelangten. Gleich im ersten Hause fand unser Anliegen eine günstige Aufnahme.
“Grad kommt ihr recht, ihr Herrn!” sagte die gemütliche Bauernfrau. “Heut mittag hat’s Erbsenbrei mit Speck gegeben; der Speck ist alle; aber Brei gibt’s noch in Hülle und Fülle.”
Sie brachte jedem einen aufgehäuften Napf voll, und der hölzerne Löffel stak drin. Freudig setzt’ ich den letzteren in genußreiche Bewegung. Freund Nazi dagegen, dem die Kost nicht behagte, pustete nur immer, als ob’s ihm zu heiß wäre; und kaum daß die gute Bäuerin den Rücken drehte, um wieder in die Küche zu gehn, so erhob er sich und entleerte seine Schale in das Innere eines grünen, baumwollenen Regenschirms, der hinter der Tür stand.
“Danke für gute Verpflegung!” rief er in die Küche hinein und entfernte sich eilig.

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Ein warnendes Vorgefühl überschlich mich. Ich machte, daß ich fertig wurde, und stand grad auf, als der ehrwürdige Hausvater aus der Stube trat. Er langte sich den Schirm, weil es draußen zu regnen begann, und spannte ihn auf. Groß war seine Überraschung, als ihm der zähe Brei über das Haupt und die Schultern rann. Dennoch besaß er so viel Geistesgegenwart, daß er mir, eh ich vorbeischlüpfte, den Schirm ein paarmal um die Ohren schlug, so daß ich auch von diesem Brei noch ziemlich viel abkriegte. Der Nazi sah es von ferne und wollte sich schief lachen. Ich wär’ ihm fast bös geworden darum; da er aber fleißig putzen half und trostreiche Worte sprach, ging ich wieder zu Wohlwollen und Heiterkeit über. Um die Vesperzeit drang mein Freund darauf, daß wir, jedoch am andern Ende des Dorfes, einen zweiten Besuch machten.

Ein kleiner Unglücksfall kam uns zustatten. Ein Knabe von etwa fünf Jahren fiel aus einem Apfelbaum ins weiche Gras. Er war mit einem Anzug bekleidet, den man “Leib und Seel” benennt; hinten zugeknöpft. Dadurch, daß sich beim Fallen ein Ast in den Schlitz gehakt hatte, war der Verschluß von unten bis oben vollständig gelockert. Die besorgte Mutter trat aus der Haustür. Wir suchten die abgesprungenen Knöpfe auf. Ich zog Nadel und Zwirn aus der Tasche. Der weinende Knabe wurde über den Schoß der Mutter gelegt; der Nazi hielt ihm die Beine, daß er nicht strampeln konnte. Bald waren nach allen Regeln der Kunst die Knöpfe wieder befestigt und “Leib und Seele” verschließbar, so weit das, nach unten hin, bei diesem Kleidungsstücke der unmündigen Jugend überhaupt ratsam erscheint. Erstaunt und glücklich über diese rasche und erfolgreiche Kur lud uns die Mutter zum Vesperbrot ein. Ein mächtiges Hausbrot, ein Teller mit dunklem Zwetschenmus, eine beträchtliche, eben nur angebrochene Butterwälze, eine Schlackwurst von anderthalb Eilen, standen alsbald zu unserer Verfügung.

Am schnellsten nahm der Nazi Platz, denn er hatte tagsüber nur rohe Pflaumen gegessen. Er tat einen tüchtigen Hieb in die Butter. “Die Butter ist schon hier am andern Ende angeschnitten!” sagte die Frau, die sehr ordnungsliebend zu sein schien.
“Macht nichts!” erwiderte der Nazi. “Da kommen wir auch noch hin! ” “Hier ist auch schwarze Butter!” erinnerte die Bäuerin. “Danke! Die weiße ist gut genug für uns!” sagte der Nazi und tat einen zweiten und dritten Hieb.
So fuhren wir rührig fort. Die Schlackwurst verkürzte sich zusehends. Die Frau wurde besorgt. “Man kann auch zuviel essen!” meinte sie. “So leicht wohl nicht!” erwiderte der Nazi. “Man kann sich auch krank essen!” sagte sie bald darauf. “Kommt auch wohl vor!” gab er zur Antwort. “Man kann sich auch tot essen!” sprach sie endlich, als die Wurst immer kürzer wurde. Jetzt legt der Nazi das Messer nieder und sprach im ernsten Ton allertiefster Bedenklichkeit: “Wenn Ihr das meint, gute Frau, dann will ich sie lieber mitnehmen!”

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