Eduards Traum - Abschnitt 2

Ich begab mich auf den Markt, wo die benannten Zahlen ihr geschäftliches Wesen treiben. In glitschiger Eile kam mir eine Wurst im Preise von 93 Pfennig entgegengelaufen. 17 Schneidergesellen, die mit gespreizten Beinen, gespreizten Scheren und gespreizten Mäulern hinter ihr her waren, faßten sie beim Zipfel. Sie hätten ihr Geld bezahlt, schrien sie, und nun wollten sie schnippschnapp dividieren. Das geht ja nicht auf, keuchte die Wurst, welche Angstfett schwitzte, denn die begierigen Schneider hatten sie bereits angeprickelt mit ihren Scheren; macht 34 Löcher. Jetzt kam ein rechenkundiger Schreiber dazu. Er trug eine schwefelgelbe Hose zu 45 Pfennigen die Elle, einen gepumpten Frack und einen unbezahlbaren Zylinder. Sofort stellte er eine falsche Gleichung auf und brachte dabei die Wurst auf seine Seite. Die Schneider verstanden das schlecht. Sie kürzten ihm den Schniepel, sie schnitten ihm die Knöpfe von der Hose, sie trennten die Hinternaht auf, und wäre er nicht eilig, unter Zurücklassung der Wurst, in ein unendlich kleines Nebengäßchen entsprungen, sie hätten ihn richtig aufgelöst. Nun aber, als sie eben wieder die Wurst ins Auge faßten, erhob sich ein neues Geschrei. Es war die Metzgersgattin = 257 Pfund Lebendgewicht. Sie hätte kein Geld gesehen, tobte sie, und 93 Pfennige gleich so nur in den rauchenden Schornstein zu schreiben, das ginge gegen ihr menschliches Defizit. Sofort, gegen die runde Summe ihres empörten Busens gerichtet, erklirrten die Scheren der beleidigten Schneider. Der Lärm war groß. Die Menge wuchs. 5o Stück gesalzene Heringe, 1/2 Schock Eier, 3 Dutzend Harzkäse, 1 Pulle Schnaps, 3/4 Pfund Amtbutter, 6 Pfund Bauernbutter, 15 Lot Schnupftabak und zahlreiche Ditos vermehrten den Aufruhr.

Hart bedrängt von den spitzigen Scheren der Schneider tat die Metzgerin einen Rückschritt. Sie tritt auf die 1/4 Pfund Amtbutter, gleitet aus, setzt sich in die 6 Pfund Bauernbutter, zieht im Fallen 2 Lot Schnupftabak in die Nase, in jedes Loch eins, muß niesen, schlägt infolgedessen einen Purzelbaum vornüber, zerdrückt 3 Harzkäse und die Schluckpulle und trifft mit ihren zwei schwunghaften Absätzen zwei Heringe derart auf die Bauchflossen, daß ihnen ihre zwei armen Seelen aus dem Leibe rutschen wie geschmiert. Plötzlich, als die Verwicklung am schwierigsten schien, zerstreut sich die Menge. Eine überwiegende Größe, der Stadtsoldat, ist hinzugekommen. Schleunig drücken sich die Heringe in ihre Tonnen; die Schneider, mit den noch schnell erwischten zwei Seelen, machen sich dünne, die Käse verduften, der Schnupftabak verkrümelt sich, aber sämtliche Eier, die nun doch weniger gut rochen als man’s ihnen bei Lebzeiten allgemein zugetraut, verquirlt mit den sonst noch Verdrückten und Verunglückten, blieben zermatscht auf dem Platze; während die Metzgersfrau, die inmitten der ganzen Bescherung saß, die erschlaffte Wurst in der erhobenen Rechten schwang und in einem fort plärrte: “Es gibt keine Richtigkeit mehr in der Stadt, und das sag’ Ich!”, bei welcher Gelegenheit ihr die zwei Lot Schnupftabak wieder aus der Nase liefen, aus jedem Loch eins, und auch noch glücklich entwischten. Der Stadtsoldat, seiner Aufgabe völlig gewachsen, notierte sich die entseelten Heringe, behielt die Käse, die Butter und die Glasscherben einfach im Kopfe, addierte Frau und Wurst, setzte sie in Klammern und transportierte sie auf die Stadtwaage, wo man richtig die eine zu schwer, die andere zu leicht fand. Subtraktion war die gerichtliche Folge, Die Wurst wurde abgezogen für den Fiskus, der Rest, wegen Verleumdung der Obrigkeit, dreimal kreuzweis durchgestrichen, und zwar mit Tinte, der brave Stadtsoldat dagegen vom unendlich großen Bürgermeister noch selbigen Tags zur dritten Potenz erhoben.

Übrigens schwebten vor der Verrechnungskammer gleichzeitig noch mehrere Fälle, die prompt erledigt wurden. Jugendliche Schiefertafelschnitzer verknurrte man einfach zur Durchwischung mit Spucke; schon ältere in Blei zur eindringlichen Radierung mit Gummi, erstmalig mit weichem, bei Wiederholung mit hartem. Was aber die weiblichen Additionsexempel anbelangt, deren sehr viele vorgeführt wurden, so mußten sie allesamt freigesprochen werden, weil sie sämtlich ihr geistiges Alibi nachweisen konnten. Es fanden sich hübsche Lustgärten in dieser Stadt und Obstbäume voll goldener Prozentchen, und auf und nieder an papierenen Leitern stiegen die Dividenden, und einige fielen herunter, und dann rieben sie sich die Verlustseite und hinkten traurig nach Hause. Kummer und Elend gab’s auch sonst noch genug. An allen Straßenecken hockten die gebrochenen Zahlen; arme, geschwollene Nenner, die ihre kleinen, schmächtigen Zählerchen auf dem Buckel trugen und mich flehentlich ansahn. Es ließ mich kühl. Ich hatte kein Geld bei mir; aber wenn auch, gegeben hätte ich doch nichts. Ich hatte meine Natur verändert; denn daß es mir sonst da, wo die Not groß ist, auf zwei Pfennige nicht ankommt, das wißt ihr, meine Lieben!
Es mochte so nachmittags gegen fünf Uhr sein, als ich weiterreiste und, eine unbestimmte Gegend durchstreifend, auf der Gemeindetrift anlangte, wo grad das Völklein der Punkte sein übliches Freischießen feierte. Schwarz war heute der Punkt, worauf´s ankommt, und Tüpfel war Schützenkönig. Je kleiner die Leute, je größer das Pläsier. Alles krimmelte und wimmelte durcheinander wie fröhliche Infusorien in einer alten Regentonne. Im Zelte ging’s hoch her. Mit mückenhafter Gelenkigkeit wirbelten die “denkenden Punkte” mit ihren geliebten kleinen Ideen über den Tanzboden dahin.

Auch ich engagierte eine, die schimmelte, ein simples Dorfkind, und walzte ein paarmal herum mit ihr. Noch gewandter und windiger als wir, und das will doch was sagen, trieben die nur gedachten, die rein mathematischen Punkte ihre terpsichorischen Künste. Sie waren aber dermaßen schüchtern, daß sie immer kleiner und kleiner wurden, je mehr man sie ansah; ja, einer verschwand gänzlich, als ich ihn schärfer ins Auge faßte.
Gelungene Burschen, diese Art Punkte! Der alte Brenneke, mein Mathematiklehrer, pflegte freilich zu sagen: “Wer sich keinen Punkt denken kann, der ist einfach zu faul dazu!” Ich hab’s oft versucht seitdem. Aber just dann, wenn ich denke, ich hätt’ ihn, just dann hab’ ich gar nichts. Und überhaupt, meine Freunde! Geht’s uns nicht so mit allen Dingen, denen wir gründlich zu Leibe rücken, daß sie grad dann, wenn wir sie mit dem zärtlichsten Scharfsinn erfassen möchten, sich heimtückisch zurückziehen in den Schlupfwinkel der Unbegreiflichkeit, um spurlos zu verschwinden, wie der verzauberte Hase, den der Jäger nie treffen kann? Ihr nickt; ich auch. Mehr behäbig, so fuhr Freund Eduard in der Erzählung seines Traumes fort, als diese gedachten Punkte zeigten sich die gemachten in Tusche und Tinte. Sie saßen still und versimpelt auf ihren Reißbrettern an der Wand herum und freuten Sich, daß sie überhaupt da waren. Die kritischen Punkte dagegen, mit ihren boshaften Gesichtern, standen natürlich jedem im Wege.

Einer von ihnen, ein besonders frecher, trat einer noch hübsch jugendlichen Idee auf die Schleppe und zugleich ihrem denkenden Herrn dermaßen aufs Hühnerauge, daß ihm die Gründe stockten, sein Geschrei also losging. Da sämtliche Streitund Ehrenpunkte, deren viele zugegen, sich dreinmischten, so gab’s einen netten, aufgeweckten Skandal, der alle erfreute, welche dabeistanden.
Es mochte so nachmittags gegen fünf Uhr sein, als ich weiterreiste und, eine unbestimmte Gegend durchstreifend, auf der Gemeindetrift anlangte, wo grad das Völklein der Punkte sein übliches Freischießen feierte. Schwarz war heute der Punkt, worauf’s ankommt, und Tüpfel war Schützenkönig.
Je kleiner die Leute, je größer das Pläsier. Alles krimmelte und wimmelte durcheinander wie fröhliche Inf u sorien in einer alten Regentonne.
Im Zelte ging’s hoch her. Mit mückenhafter Gelenkigkeit wirbelten die “denkenden Punkte” mit ihren geliebten kleinen Ideen über den Tanzboden dahin. Auch ich engagierte eine, die schimmelte, ein simples Dorfkind, und walzte ein paarmal herum mit ihr. Noch gewandter und windiger als wir, und das will doch was sagen, trieben die nur gedachten, die rein mathematischen Punkte ihre terpsichorischen Künste. Sie waren aber dermaßen schüchtern, daß sie immer kleiner und kleiner wurden, je mehr man sie ansah; ja, einer verschwand gänzlich, als ich ihn schärfer ins Auge faßte. Gelungene Burschen, diese Art Punkte!

Der alte Brenneke, mein Mathematiklehrer, pflegte freilich zu sagen: “Wer sich keinen Punkt denken kann, der ist einfach zu faul dazu!” Ich hab’s oft versucht seitdem. Aber just dann, wenn ich denke, ich hätt’ ihn, just dann hab’ ich gar nichts. Und überhaupt, meine Freunde! Geht’s uns nicht so mit allen Dingen, denen wir gründlich zu Leibe rücken, daß sie grad dann, wenn wir sie mit dem zärtlichsten Scharfsinn erfassen möchten, sich heimtückisch zurückziehen in den Schlupfwinkel der Unbegreiflichkeit, um spurlos zu verschwinden, wie der verzauberte Hase, den der Jäger nie treffen kann? Ihr nickt; ich auch. –
Mehr behäbig, so fuhr Freund Eduard in der Erzählung seines Traumes fort, als diese gedachten Punkte zeigten sich die gemachten in Tusche und Tinte. Sie saßen still und versimpelt auf ihren Reißbrettern an der Wand herum und freuten Sich, daß sie überhaupt da waren.
Die kritischen Punkte dagegen, mit ihren boshaften Gesichtern, standen natürlich jedem im Wege. Einer von ihnen, ein besonders frecher, trat einer noch hübsch jugendlichen Idee auf die Schleppe und zugleich ihrem denkenden Herrn dermaßen aufs Hühnerauge, daß ihm die Gründe stockten, sein Geschrei also losging. Da sämtliche Streitund Ehrenpunkte, deren viele zugegen, sich dreinmischten, so gab’s einen netten, aufgeweckten Skandal, der alle erfreute, welche dabeistanden.

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