Eduards Traum - Abschnitt 19

Als ich mich mühsam hindurchgearbeitet, tat sich weithin das Land auf; und nun sah ich erst, daß an der rechten Seite des Gebirges aus dem tiefen, fernen Tale noch ein zweiter Pfad zu der beträchtlichen Höhe führte, die ich von links her erreicht hatte. Der Pfad war sehr schmal. Stille Pilger, jeder sein Päckchen tragend, zogen herauf. “Nur langsam, Freundchen! Ich will auch noch mit!” rief ich, als sie an mir vorüberkamen, einem der Wanderer zu. Mit ruhig mildem Blicke mich ansehend, sprach er: “Armer Fremdling! Du hast kein Herz!” Betroffen blieb ich stehn und sah ihnen nach. Sie wandelten bescheiden ihres Weges weiter. Sie kamen an das Wasser. Ein schmaler Steg führte hinüber. Hinter dem Stege, in einem Gemäuer, tat sich ein enges Pförtchen auf. Die Pilger traten ein. Das Pförtchen schloß sich wieder. Neugierig, wie ich war, versuchte ich gleichfalls hineinzugelangen; aber das Pförtchen hatte nicht einmal ein Schlüsselloch, und auch die Mauer, welche sich rechts und links unabsehbar weit ausdehnte, war undurchdringlich für mich. Ich erhob mich und schaute hinüber. Eine herrliche Tempelstadt, ganz aus Edelsteinen erbaut und durchleuchtet von wunderbarem Lichte, viel schöner als Sonnenschein, stieg zum Gipfel des majestätischen Berges empor. Mit kräftigem Schwunge versucht’ ich dahin zu fliegen. Ein heftiger Stoß war die Folge. Über der ersten Mauer stand noch eine zweite, die ich nicht bemerkt hatte, unendlich hoch, vom reinsten, durchsichtigsten Kristall. Eine Weile noch schwirrt’ ich dran auf und nieder wie eine Stubenfliege an der Fensterscheibe; dann fiel ich erschöpft zu Boden, daß es klirrte wie eine “tönende Schelle”.

Da lag er nun, der kleine, eingebildete Reiseonkel; ein Häufchen, kaum der Rede wert, und doch beleidigt über die ungefällige Hartnäckigkeit mancher Dinge, die ihm verquer kamen. Plötzlich kam was über mich wie ein Schatten. Als ich aufblickte, war’s einer von den kleinen abscheulichen, schwarzen Teufeln von vorhin auf der Wiese.
“Aha! Bist da, du Lump!” schrie er und zog sein grinsendes Maulwerk auseinander, daß es von Ostern bis Pfingsten reichte. Erschreckt und verdattert fing ich an zu schwitzen und zu stottern und zu beteuern und kläglich zu rufen: “Ich b-b-bin ja gar nicht so übel! Ich b-b-b-bin ja gar nicht so übel!” “Also auch das noch!” kreischte der Schwarze. “Warte nur, dich wollen wir schon kriegen!” Und damit streckte er seine lange, rote, geräucherte Zunge heraus und hob sein Schmetterlingsnetz in die Höhe und wollte mich einfangen. Ich, nicht faul, tat einen Satz hoch in die Luft; der Teufel auch. Ich flog im Zickzack; der Teufel auch. Dann schoß ich wieder tief in den Wald hinab; der Teufel auch. Ich lief um einen Baum herum, in einem fort, wohl hundertmal hintereinander; der Teufel auch, dicht hinter mir; und jetzt wäre ich sicher erwischt worden, hätte nicht grad ein baumlanger Riese dagelegen, Maul offen, Augen zu, ein stattlicher Mann – mir war, als müßt’ ich ihn kennen -, der fest zu schlafen schien. Die Not war groß. Besinnungslos stürzte ich mich in den offenen Rachen hinein.

Als ich wieder zu mir selbst gekommen, befand ich mich in einer Art von Oberstübchen mit zwei Fenstern. Der Morgen dämmerte herein. An den Wänden hingen Bilder, die, so schien’s mir, nicht viel Ähnlichkeit hatten mit dem, was sie vorstellten. Der Zeiger der Wanduhr stand auf halb sieben. Es war noch nicht aufgeräumt. Ein Geruch von gebrannten Kaffeebohnen machte sich bemerklich. Noch halb und halb in Verwirrung stolperte ich die dunkle Treppe hinunter. Behutsam drückte ich eine Türe auf. Es war ein matt erhelltes Zimmer mit roten Vorhängen. Auf einem goldenen Thrönchen saß die schönste der Frauen, ein Abbild meiner angebeteten Elise. Ich warf mich zu ihren Füßen. Anmutig lächelnd öffnete sie die Lippen. Und wieder vernahm ich eine Stimme, aber sanft und lieblich, und es klang wie Flötentöne, als sie rief: “Eduard, steh auf, der Kaffee ist fertig!” Ich erwachte. Meine gute Elise, unsern Emil auf dem Arm, stand vor meinem Bette. Wer war froher als ich! Ich hatte mein Herz wieder und Elisen ihrs und dem Emil seins, und, Spaß beiseit, meine Freunde, nur wer ein Herz hat, kann so recht fühlen und sagen, und zwar von Herzen, daß er nichts taugt. Das Weitere findet sich.

Hiermit beschloß Freund Eduard die Geschichte seines Traumes.

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