Eduards Traum - Abschnitt 18

“Das Leben ist ein Esel! Ich prügle ihn durch!” so schrie er und arbeitete weiter. Ich begab mich höher hinauf. Nicht lange war ich gestiegen, als ich auf einem kahlen Platze einen kahlen Mann sitzen sah, der immer in dieselbe Stelle guckte. “Das Leben ist ein Irrtum! Ich denke ihn weg!” gab er zur Antwort. Er hatte sich schon alle Haare weggedacht und dachte doch immer noch weiter. Ich begab mich höher hinauf; und alsbald, so erreichte ich eine verfallene Einsiedelei, worin auf einem bemoosten Stein ein bemooster Klausner sich niedergelassen, der kein Glied rührte. “Was treibt Ihr denn da bester Freund?” so fragte ich ihn. “Das Leben ist eine Schuld! Ich sitze sie ab!” so gab er zur Antwort und saß ruhig weiter.
Er mußte wohl schon lange gesessen haben, denn ein Faulbaum war ihm kreuz und quer durch die Kutte gewachsen, und in seiner Kapuze saß ein Wiedehopfnest mit sechs jungen, die sich weiter keinen Zwang antaten. Nicht lange, nachdem ich diesen würdigen Eremiten respektvoll verlassen hatte, wurde der Wald weniger knorrig und plötzlich ganz hell. Vor mir ausgebreitet lag eine weite, grüne, blumenreiche Wiese, in deren Mitte sich ein mächtiges Schloß erhob. Es hatte weder Fenster, noch Scharten, noch Schornsteine, sondern nur ein einziges, fest verschlossenes Tor, zu dem eine Zugbrücke über den Graben führte. Es war aus blankem Stahl erbaut und so hart, daß ich trotz verschiedener Anläufe, die ich nahm, doch partout nicht hineinkonnte. Eine peinliche Tatsache.

Die Freiheit des unverfrorenen Überalldurchkommens, auf die ich mir immer was eingebildet, war entweder merklich geschwunden, oder es gab Sachen, die mir sowieso schon zu fest waren. Ich fragte einen steinalten Förster, der am Rande des Waldes stand, was denn das hier eigentlich wäre. Er schien nicht gut hören zu können, legte die Hand hinters Ohr, sah mich stumpfsinnig an und sog dabei heftig an seiner kurzen Pfeife, die er jedenfalls lange nicht reingemacht hatte. Sie gurgelte und schmurgelte. “Eduard, schnarche nicht so!!” rief die Stimme. Ich hörte nicht weiter hin, sondern fragte den Förster zum zweiten Male: “Alter Knasterbart! Könnt Ihr mir nicht sagen, was das hier für ein Schloß ist?” “Kleiner Junker!” gab er zur Antwort. “Zu denen, die das nicht wissen, gehöre auch ich. Dahingegen mein Großvater, der hat mir oft gesagt, daß er es auch nicht wüßte, aber was sein Großvater gewesen wäre, der hätte ihm oft erzählt, es wäre so alt, daß das, Ende davon weg wäre; und daß da ein heimlicher Tunnel wäre zwischen dem Schloß hier oben und dem Wirtshaus da unten, das hat er auch noch gesagt!” “Was?” dachte ich. “Kleiner Junker?!” Ich drehte dem alten Trottel den Rücken zu und sah nach dem Schlosse. Auf der Wiese trieben sich viele kleine, pechschwarze Teufelchen umher. Sie schwangen Netze, erhaschten Schmetterlinge und spießten sie auf feine Insektennadeln. Jetzt öffnete sich das Tor. Ein langer Zug von ganz kleinen, rosigen Kinderchen drängte heraus über die Brücke. Sofort ein heiteres Spiel beginnend, purzelten sie lachend zwischen den Blumen herum. Aber auch die Teufelchen kamen herbeigesprungen und neckten und balgten sich mit ihnen, und da die Teufelchen abfärbten, so kriegte jedes seinen kleinen Wischer weg, als hätten sie “schwarzen Peter” gespielt. Auf den Bäumen, welche die Wiese begrenzten, saßen zahlreiche Storchnester.

In jedem stand ein Storch auf einem Bein und sah bedächtig prüfend den kindlichen Spielen zu. Plötzlich flogen sie alle zusammen auf die Wiese hinunter. Jeder nahm sein Bübchen oder Mädchen, welches er sich ausgesucht hatte, in den langen Schnabel, und fort ging’s hoch über den Wald weg. Ein allgemeines Wehgeschrei erfüllte die Lüfte. Und die Teufelchen schrien lustig hinterher:

Storch, Storch, Stöckerbein,
Kehr bei meiner Großmutter ein!
Triffst du sie zu Hause,
Laß dich von ihr lause!

Und dann schlugen sie freudig Purzelbäume mit großer Behendigkeit. Da der Fußweg, welchen ich bislang verfolgt hatte, hier zu Ende war und ich über die Stadt am Berge auch keine nähere Auskunft erwarten konnte, schwenkte ich auf gut Glück etwas nach rechts in den Wald hinein, wo ich denn nach kurzer Zeit an einen Wildbach gelangte, der rauschend vorübereilte. Ein dichtes Dorngestrüpp versperrte mir die Aussicht.

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